aus Die WELT.de 9. Aug. 2005
Schweizer Stadler AG kommt immer mehr zum Zug
Eidgenossen werden zum ernstzunehmenden Rivalen
für Bombardier, Siemens & Co. - Werk bei
Berlin wird ausgebaut
von Nikolaus Doll
Budapest/Berlin - Zweimal hatte es Peter
Spuhler fast geschafft - und doch kam er nicht zum
Zug. Längst denkt der CEO und Inhaber des
Schienenfahrzeugherstellers Stadler AG eher mit
Unbehagen an die Flirts in Budapest. Denn was nach
einer Romanze an der Donau klingt, ist tatsächlich
ein knallhartes Ringen um einen millionenschweren
Auftrag der ungarischen Staatsbahnen MAV.
Jedesmal, wenn die MAV den Schweizern den Zuschlag
über Züge des Typs Flirt (Flinker Leichter
Innovativer Regional Triebzug) erteilt hatte,
monierten Mitbewerber die Ausschreibung. Das
Verfahren mußte seit März immer wieder neu
aufgerollt werden.
Doch nicht das monatelange Tauziehen ließ die
Branche aufhorchen, sondern das offensive
Auftreten der Schweizer: David Stadler mischt
zunehmend bei den großen Geschäften der Goliaths
Bombardier, Siemens oder Alstom mit. Immer öfter
setzt er sich sogar durch, wie sich dann am 4.
August zeigte: Da flatterte ein Schreiben der MAV
in die Stadler-Zentrale und bestätigte nun zum
dritten Mal den Zuschlag über 30 S-Bahnzüge für
Budapest. Volumen plus Option auf weitere 30
Wagen. Volumen: 700 Mio. Franken - der größte
Auftrag in der Firmengeschichte. Der Mitbieter
Bombardier wird wohl wieder protestieren.
Doch längst ist den Stadler-Rivalen klar
geworden: Der Bahnbauer aus Bussnang bei Zürich
muß ernstgenommen werden. Die Stadler AG rühmt
sich selbst, "weltweit Marktführer bei
Zahnradbahnen" zu sein. Der Chef war früher
Kapitän des Eishockeyteams von "Grashoppers
Zürich".
Doch die eidgenössische Idylle trügt.
"Stadler nimmt uns Aufträge in einer Größenordnung
ab, die weh tut", sagt ein Bombardier-Mann,
und schiebt hinterher: "Aber jetzt müssen
die erst mal beweisen, daß sie das alles auch
produzieren können, was sie an Land gezogen
haben."
Die Weichen hat Stadler offenbar gestellt. Im
oberpfälzischen Weiden haben die Schweizer eine
Tochter gegründet, um dort künftig Neuwagen zu
bauen. 50 Jobs sollen dort in naher Zukunft
entstehen. Und das Werk Velten bei Berlin wird kräftig
ausgebaut. "Wir investieren in den Standort
bis 2006 rund vier Mio. Euro in neue
Fertigungslinien", verkündet Michael Daum,
COO und zuständig fürs Deutschlandgeschäft.
Denn Stadler will die großen Drei auch auf ihrer
bislang ureigenen Domäne attackieren: dem Bau von
Straßenbahnen.
Stadlers Einstieg ins Tramgeschäft habe gut
geklappt, meint Daum. Zuletzt wurden 36 Wagen nach
Bochum und sechs nach Nürnberg geliefert.
Insgesamt stehen 45 Wagen im Auftragsbuch, dazu
eine Option auf 35 weitere. "Das Straßenbahngeschäft
soll zu einer der drei Säulen des Unternehmens
werden. Künftig wollen wir ein Drittel unseres
Umsatzes mit Trambahnen machen", sagt der
Deutschland-Chef.
2004 lag der Gesamtumsatz von Stadler bei 350 Mio.
Euro, für dieses Jahr ist dieselbe Größenordnung
angepeilt. Zwischen 2001 und 2004 haben die
Schweizer den Umsatz um das zweieinhalbfache
gesteigert - und stets schwarze Zahlen
geschrieben. Ein Grund für den Erfolg von Stadler
ist die saftige Mitgift von Bombardier aus dem
Jahr 2001. Damals machte die EU-Kommission den
Kanadiern vor der Adtranz-Übernahme die Auflage,
den Schweizern als Starthilfe in Deutschland
Exklusivlizenzen für mehrere Zugtypen zu überlassen
- darunter für das Erfolgsmodell Vario-Bahn.
Stadler hat die Anschubhilfe gut genutzt und zeigt
sich äußerst flexibel bei Miniaufträgen mit
geringsten Losgrößen. "Wir liefern 80
Gelenktriebwagen an die Schweizer Staatsbahn SBB
ebenso wie drei RegioShuttles an die
Bodensee-Oberschwaben Bahn", sagt Daum.
"Es ist ein Fehler, die jungen Privatbahnen
geringzuschätzen. Die Erfurter Industriebahn
startete beispielsweise mit rund sechs Wagen.
Heute fahren die mit 50 RegioShuttles - und alle
sind von uns."
Und da sind die flachen Hierarchien, die
Stadler wendig machen - wie der
"Klo-Coup" bewies, der Daum allerdings
viel Spott eingebracht hat. Denn als einer der
letzten Hersteller für Bahntoiletten Insolvenz
anmelden mußte, entschied er postwendend, die
Vakuum-WCs ab sofort selbst zu produzieren.
"So konnten wir pünktlich liefern",
sagt Daum.
Artikel erschienen am Di, 9. August 2005
www.welt.de/data/2005/08/09/757372.html